EvangelischeEv. Kirche in Ennepetal, Gevelsberg, Haßlinghausen, und Schwelm

„Tut das dem Mann weh?“

An einem kalten Vorfrühlingstag geht ein Ehepaar mit einem Jungen, gerade fünf Jahre alt geworden, spazieren. Das Kind ist nicht ihr Sohn. Sie sollen seine Adoptiveltern werden.

Pfarrerin Anke Lublewski-Zienau ist Krankenhausseelsorgerin in der Klinik Königsfeld in Ennepetal

  

In seinem kurzen Leben hatte der Junge es bisher sehr schwer. Seine Mutter, drogenabhängig, konnte sich nicht angemessen um ihn kümmern und so wanderte er in den ersten Jahren von einer Pflegestation in die nächste bis er ins Kinderheim kam. Seine Mutter, die eine Adoption immer abgelehnt hatte, war kürzlich bei einem Unfall ums Leben gekommen. Als das Jugendamt dem Paar den Jungen vorstellte, haben ihn beide gleich ins Herz geschlossen.

Bei ihrem Spaziergang kommen sie an einem Kruzifix vorbei. Der Junge bleibt stehen und fragt: „Tut das dem Mann weh?“. Das Paar ist sprachlos. So etwas hatten sie sich noch nie gefragt.

Auf diese Weise kann nur jemand fragen, der weiß, was Schmerz und Leiden sind. Der Junge stellt diese Frage, als einer, der Leid aus eigener Erfahrung gut kennt und sich deshalb in das Leid von Jesus hineinversetzen kann.

Diese Frage, liebe Leserinnen und Leser, ist die Frage des Karfreitags: „Tut das dem Mann weh?“. Und wir können nur antworten: „Doch, dem Mann tut es weh, er leidet bis in den Tod.“

Mel Gibson hat 2004 einen Film gedreht, der die Passion Christi in Bilder fasst – ungeschminkt und grausam, so, wie es gewesen sein muss. Gibson ist dafür scharf kritisiert worden und viele halten den Film für nicht anschaubar, weil er zu realistisch das Leid Jesu darstellt.

Aber alles Wegschauen hilft nichts. Jesu Tod war ein Tod in der tiefsten Demütigung. Dass er so sterben musste, ist nicht zu verstehen. Und wenn ich mir dann noch klar mache, dass er für mich gestorben ist – für uns geschehen, hat Luther einmal gesagt –, dann bewegt mich das zutiefst. Ich kann es nicht wirklich fassen. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es etwas Unbegreifliches ist, das ich als ein Geschenk ansehen darf. Ein Geschenk, das durch nichts übertroffen werden kann. Es ist die Gabe der Nähe Gottes, der auch im tiefsten Leid, in unseren schwärzesten Stunden und in unserer größten Angst bei uns ist.

Seit dem ersten Karfreitag ist klar: Gottes Wege führen weiter, als wir manchmal meinen.

Was uns als das unwiderruflich Letzte erscheint: das Leiden, das Sterben und den Tod, das ist bei Gott nur das Vorletzte.
So, wie bei dem kleinen Jungen, der nach all den leidvollen Erfahrungen seines jungen Lebens zu einer wunderbaren Familie kommt, die ihn liebt und ihm zur Seite steht. Natürlich bleiben unserem Jungen auch in Zukunft schwere Stunden nicht erspart. Aber er ist nicht allein. Er hat liebende Menschen an seiner Seite.

So ist das mit dem Leben: Aufbauende und niederschmetternde Erfahrungen wechseln sich in jedem Leben ab. Sie müssen durchlebt werden. Ständig werden wir zwischen Karfreitag und Ostern hin und hergerissen. Wichtig ist, dass wir die Hoffnung nicht aufgeben, wenn es für uns persönlich gerade Karfreitag ist.

„Tut das dem Mann weh?“ Doch, und wie. Aber es bleibt die Hoffnung. Die Hoffnung auf Ostern. Denn Ostern sagt uns: Leiden, Schmerz und Tod sind nicht das Letzte, sondern das Aufatmen, die Liebe und das Leben.