Ich erfahre, dass sie kurz vor dem Abschluss des Studiums steht. Welchen Beruf sie denn ergreifen möchte, frage ich. „Ich werde Lehrer“. Ich stutze, schaue, doch, sie ist eine junge Frau. Auf mein freundliches Nachfragen, ob sie denn nicht Lehrerin werde, reagiert sie leicht gereizt. Diese weiblichen Endungen würden doch nur nerven, sie habe das nicht nötig und darüber seien wir doch heraus.
Ja, meine Generation hat wahrscheinlich ganz schön genervt, ist das jetzt die Quittung dafür? Aber ich habe auch gelernt: nicht nur das Bewusstsein prägt die Sprache, sondern auch die Sprache kann das Bewusstsein verändern.
Eine andere Geschichte ist einer Kollegin vor ca. 15 Jahren passiert, sie war als Berufsanfängerin gerade frisch ins Pfarrhaus eingezogen. Es schellt an der Tür, ein Herr mit Rollköfferchen steht davor und möchte „den Pfarrer“ sprechen, „ist Ihr Ehemann oder Vater zu Hause?“ Sie scheint wohl etwas dümmlich aus der Wäsche zu schauen. Der Herr wiederholt: „Ist Ihr Vater oder Ehemann zu Hause? Ich komme von der Reisbuchhandlung und möchte den Pfarrer sprechen.“ Jetzt versteht meine Kollegin. „Ich bin der Pfarrer!“, ist ihre spontane Antwort. Damals gab es übrigens schon seit einem Viertel Jahrhundert die völlige rechtliche Gleichstellung von Frauen im Pfarramt.
Was unterscheidet das 15 Jahre alte „Ich bin der Pfarrer“ und das heutigen „Ich werde Lehrer“, beides ausgesprochen von jungen Frauen? Unsere Vormütter haben dafür gekämpft, in Bereiche einzudringen, die Männern vorbehalten waren. Wenn wir heute so tun, als gäbe es keine Differenzen mehr, handeln wir geschichtsvergessen gegenüber dem Verdienst dieser Frauen. Und machen uns was vor, denn es gibt noch viel zu tun auf dem Weg der Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Das ist zumindest die (meinige)Meinung einer nervenden altmodischen Frau.
Paulus ruft den frischgebackenen Christinnen und Christen zu: „Ihr seid jetzt nämlich alle Kinder Gottes. Es spielt keine Rolle mehr, ob ihr Juden seid oder Griechen, unfreie Diener oder freie Menschen, Männer oder Frauen. Denn durch eure Verbindung mit Christus Jesus seid ihr alle wie ein Mensch geworden.“ Redet Paulus damit der sprachlichen Nivellierung das Wort? Oder meint er nicht vielmehr, dass vor Gott und damit auch unter uns kein Mensch aufgrund der Herkunft, des Glaubens, des sozialen Status und des Geschlechts benachteiligt werden soll?
Und ich rufe euch jungen und alten Menschen unterschiedlichen Glaubens zu: Ich genieße die Vielfalt der Geschlechter, der Kulturen, der Fähigkeiten und der Generationen in unserem Land. Und ich glaube, Gott nimmt uns so wahr, wie wir sind, mit all unseren Unterschieden. Aber die Unterschiede bleiben. So verstehe ich Gottes bunte Gnade.
Ihre Marianne Funda