Es gibt für jede Gemütslage ein Lied: Ob wir uns freuen, dankbar sind, Angst haben oder trauern, das Singen befreit und hebt die Stimmung. In diesen Corona-Zeiten kann man immer wieder erleben, dass Menschen sich am offenen Fenster begegnen und miteinander singen. Sie singen gegen die Angst, gegen die Einsamkeit und gegen die Ohnmacht.
Über den Apostel Paulus wird erzählt, dass er im Kerker sitzend gesungen hat. Apropos Kerker. Ich war auch schon einmal im Gefängnis. Damit meine ich nicht die Corona-Quarantäne kürzlich. Das war vor 35 Jahren und ich war nicht inhaftiert. Es war in der Zeit meines Gemeindepraktikums in Ostwestfalen. Dort habe ich meinen Mentor bei einem Besuch eines Untersuchungshäftlings im Gefängnis in Bielefeld-Brackwede begleitet. Die Besucherräume waren im Inneren des Gebäudes. Wir durchliefen verschiedene Schleusen. Es passierte immer das gleiche: Eine Tür ging automatisch auf, man betrat einen Flur, die Tür ging hinter einem zu, dann ging man vier fünf Schritte und am anderen Ende des kurzen Flurs ging eine neue Tür auf. Keine Türklinken. Überall Kameras. Ab und zu ein Beamter mit Waffe und dickem Schlüsselbund. Die Atmosphäre und die Beklemmung spüre ich bis heute.
Wenn schon unsere eher modernen Strafvollzugsanstalten auf eine ganz eigene Weise diese beklemmenden Gefühle hervorrufen, wie mag es dann damals bei Paulus im Kerker gewesen sein? Man hatte ihn entkleidet und geschlagen. Dann inhaftiert und seine Füße in den Block gelegt. Keine Bewegungsfreiheit, kein Entkommen. Dunkel war es, weil es keine Fenster gab. Stickig muss es gewesen sein. Auch wenn wir noch nie real in solch einem Kerker gesessen haben, so kennt doch jede und jeder von uns das im übertragenen Sinne. Das sind Situationen in denen wir uns innerlich wie angekettet fühlen. Komplett unbeweglich. Dieser finstere Raum in uns ist der Ort, an dem wir in unseren Ängsten und tiefsten Nöten gefangen sind. Dort ist uns angst und bange.
In solch einer Situation singt Paulus. Doch welches Lied singt man in hoffnungsloser Situation? Niemand weiß, was Paulus gesungen hat. Vielleicht etwas Ähnliches wie Dietrich Bonhoeffer, der im Gefängnis gedichtet hat: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag, Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag“.
Wir durften am Sonntag Kantate zwar wieder Gottesdienst feiern, aber nicht singen. Schade. Tun Sie mir einen Gefallen: Singen Sie trotzdem. Im Wald, im Keller oder unter der Dusche. Egal wo, aber laut und als Ermutigung, zum Trost und für die Hoffnung.
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Woche
Ihr
Anke Lublewski-Zienau