Ein Minister und eine Ministerin mussten schon früher gehen, weil sie erwischt worden sind. Nun wird Kanzlerkandidat für Kanzlerkandidatin gescannt. Sie sind schon im Ruf beschädigt, bevor sie überhaupt gewählt werden können. Ihr Verhalten war gewiss nicht vorbildlich. Aber anderen warf man vor, sie hätten Abermillionen an Steuergeldern in den Sand gesetzt. Nun haben wir also wieder zwei kleine Schummler erwischt. Was haben wir davon? Unsere Genugtuung! "Seht, Politikerinnen sind auch nur Menschen". "Seht, die sind doch alle gleich! Wir haben es schon immer geahnt."
Jesus ging da anders vor. Er scannte Menschen nicht nach Schwächen, sondern nach Talenten. So reifte Petrus vom kleinen Fischer, Großmaul und Angsthasen zum Apostel und Grundstein der Kirche. Petrus war keine Ausnahme. Fast alle Großen hatten auch große Schwächen: Abraham brachte seine Frau in Gefahr, weil er nicht zu ihr stand. Jakob betrog seinen Zwillingsbruder. Mose erschlug einen Sklaventreiber. Solche Menschen erwählte sich Gott also. Und sie schrieben Geschichte und blieben unvergessen. Würden wir die gleiche Energie, die wir zum Scannen von menschlichen Schwächen vergeuden, für das Aufspüren herausragender sozialer Talente verwenden, so sähe die Welt viel besser aus.
Und apropos Ehebruch. Die Anstands-Wauwaus brachten eine frisch ertappte Ehebrecherin zu ihm. Darauf stand damals die Todesstrafe. Wir kennen die Antwort Jesu an die Petzen: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein!" Und alle ließen verschämt ihre Steine fallen. Da Ehebruch heutzutage zum Kavaliersdelikt verkommen ist, braucht die Geschichte ein Update. Ich verfremde Johannes 8 für Menschen von heute - für Armin und Annalena, für dich und mich.
Was würde Jesus uns und ihnen wohl sagen? "Wer von euch noch nie in der Schule abgeschrieben hat, werfe den ersten Stein." Und ich spüre die Erde unter meinen Füßen beben, so viele Steine plumpsen herunter. Übrigens endete die Geschichte von der Ehebrecherin damit nicht. Am Schluss wird Jesus doch noch sehr moralisch: "Und sündige hinfort nicht mehr", sagte er ihr am Ende des Tages. Aber er sprach sie nicht vor laufender Kamera an, sondern unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nachdem alle anderen schon verschämt gegangen waren. Nein, Jesus redete nichts schön. Er hieß auch nicht alles gut. Aber er gab Menschen die Chance, aus Fehlern zu lernen, ohne ihr Leben oder auch nur ihr Gesicht zu verlieren. Er sah, wie viel verborgene Kraft noch in Petrus schlummerte. Er verurteilt nicht unsere Schwächen, sondern er sieht unsere Entwicklungspotentiale, wo wir noch viel Luft nach oben haben. Und genau das befreit und ist das Evangelium, die froh machende Botschaft für uns alle.
Pastor Dirk Küsgen