EvangelischeEv. Kirche in Ennepetal, Gevelsberg, Haßlinghausen, und Schwelm

Gegen die Angst

Wenn man im alten Russland verreiste, nahm man einen Reisealtar mit auf den Weg. Zu sehen war darauf meist ein Heiligenbild. Wenn der Reisetag dann zu Ende ging und ein Zwischenziel erreicht war, wurde der Altar im Gastzimmer der Herberge aufgestellt. So konnte man ihn ansehen und berühren. Und das hatte meist eine beruhigende Wirkung: Man fühlte sich nämlich nicht so allein und verlassen, auch wenn man weit von zu Hause fort war, in fremder Umgebung unter fremden Menschen. Dieser kleine Altar sprach ohne Worte von Gottes Nähe. Er sagte: du brauchst dich in der fremden Umgebung nicht zu ängstigen. Gott ist bei dir. Und so vermittelte solch ein Reisealtar ein Gefühl von Geborgenheit, sodass der Schlaf bald kommen konnte.

Pfarrerin Lublewski-Zienau ist Krankenhausseelsorgerin in der Klinik Königsfeld in Ennepetal

Als ich von diesem Brauch gehört habe, hat mich das sehr berührt. Manchmal – gerade auf ungewissen Wegstücken – wünscht man sich ja ein solches Zeichen, das Geborgenheit, Wärme und Sicherheit schenkt.

In Russland war auf vielen dieser Reisealtäre der Heilige Georg in eine Messingplatte eingeprägt. Die Legende Georgs ist eine Geschichte der Überwindung von Angst. Sie spielt in Silena, einer Stadt in Nordafrika. Vor den Mauern der Stadt liegt ein See, in dem ein giftiger Drache wohnt. Die Menschen hatten furchtbare Angst vor diesem Drachen.

  

Diese Legende drückt in einer bildhaften Sprache eine ganz reale Erfahrung von Menschen aus: Es gibt manchmal eine Angst, die überwältigend groß wird. Sorgen und unheilvolle Phantasien können ins Unermessliche wachsen. In unserer Vorstellung werden sie zu Ungeheuern. Man fühlt sich ihnen hilflos ausgeliefert. Viele empfinden die derzeitige Corona-Pandemie als solch ein Ungeheuer.
Was macht Georg? Er, der des Weges kommt, als die Angst vor dem Drachen am größten ist, lässt sich nicht anstecken von der Angst. Er hört sich an, was die Menschen über den Drachen zu erzählen haben. Denn ohne die Wirklichkeit anzusehen und die Realität zu prüfen, gibt es kein Aussteigen aus dieser Geschichte der Angst. Erst danach tritt Georg dem Drachen entgegen. Interessant ist, dass es auf dem Altarbild links oben die Abbildung einer Hand gab, die aus dem Himmel kommt und das Segenszeichen macht. Das Bild spricht also von Gottes Nähe und Begleitung auf dem gefährlichen Weg.

   

Georg besiegt den Drachen.
Diese Legende zeigt, was im Umgang mit Ungeheuern wichtig ist: Georg hat sich nicht in den Schrecken hineinziehen lassen. Er hat sich das Geschehen genau angehört und angesehen. Hat sich des Segens Gottes vergewissert und ist dann dem Drachen entgegengetreten und hat ihn schließlich besiegt.

Die Geschichte Georgs ist ein schönes Motiv für einen Reisealtar. Weil es eine Geschichte der Überwindung von Angst ist, kann sie auf einer Reise durch die Fremde tröstlich sein. Vielleicht kann sie auch uns helfen auf unserem Weg durch diese fremdartige Zeit.

Aus Georgs Geschichte kann man Gott zu uns sprechen hören: Sei getrost und unverzagt.

Lass Dir nicht grauen und entsetze Dich nicht, denn ich bin mit Dir in allem, was Du tun wirst.  (Josua 1,9)

   

Ihre Anke Lublewski-Zienau