EvangelischeEv. Kirche in Ennepetal, Gevelsberg, Haßlinghausen, und Schwelm

Eindeutig leben

Früher glaubten die Leute an ein Leben nach dem Tod. Doch in der Neuzeit zählt nur, was wir sehen, kaufen oder beweisen können. Früher starben die Menschen früh an Krankheiten, die wir heute medizinisch im Griff haben. Heute werden wir immer älter. Doch das ist auch nicht das Paradies. Viele von denen, die sehr alt werden, leiden auch länger körperlich oder werden dement. Die Verlängerung des irdischen Lebens in die Ewigkeit ist also weder möglich, noch ein Lösung. Wenn ein Mensch nach längerer Krankheit stirbt, sagen alle anderen, er sei erlöst.

Dirk Küsgen ist Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Gevelsberg

  

Früher, so schrieb der katholische Theologe Zulehner, lebten die Menschen bei durchschnittlicher Lebenserwartung 35 Jahre plus unendlich, heute leben sie etwa achtzig Jahre plus Null. Die Folge ist, dass wir in unserer knappen Lebenszeit meist den Turbo einschalten und zwei Leben gleichzeitig leben.
Früher waren die meisten Frauen ganz Hausfrauen und Mütter mit vielen Kindern. Heute lebt uns die Supernanny der Nation vor, wie sie als vielfache Mutter Politkarriere macht. Andere, häufig Männer, jagen immer zwischen zwei Terminen gleichzeitig hin und her und scheitern kläglich am Multitasking. Das Handy imitiert eine Eigenschaft Gottes, nämlich allgegenwärtig zu sein. Wir sind nie ganz da, weil wir immer noch woanders präsent sind. Der Busfahrer ist heute zugleich Schaffner, wenn ihm das nicht schon ein Automat abnimmt. Die hoch qualifizierte Krankenschwester teilt ganz nebenbei das Essen aus.
  
Während  katholische Kollegen noch ganz Priester sein durften, wurde ich schon im Studium mit einer Rollenkonfusion konfrontiert. „Eigentlich bist du doch ein ganz normaler Mensch, warum studierst du dann Theologie?“ Seither bemühte sich eine ganze Generation von Geistlichen angestrengt, erstens ganz normal zu sein, und dann zweitens doch etwas anders zu sein als andere Menschen. Viele fallen  deshalb durch ihre Über-Normalität aus der Rolle und werden in ihrer sich anbiedernden Jovialität geradezu hochgradig verhaltensauffällig. Das gängige Freizeitverhalten gleicht ebenfalls einem Leben in zwei Welten. Hier ist die nüchterne reale Welt der Arbeit. Dort sind die spannenden virtuellen Welten des Fernsehens, des Computers, der Miniatureisenbahn, oder auch mal  ganz altmodisch der guten Bücher. Manche können diese Welten nicht mehr auseinanderhalten und leiden deshalb an Realitätsverlusten.
Die provozierendsten Aussagen Jesu haben übrigens etwas damit zu tun, dass er Eindeutigkeit fordert und kein Doppelleben. Er will klare Entscheidungen statt ein bisschen hüüh und ein bisschen hott. „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich“, Seine wahre Familie sind nicht seine Mutter und seine Geschwister, sondern seine Jünger. „Lasst alles stehen und liegen, und folgt mir nach.“ „Lasst  (sogar) die Toten ihre Toten begraben!“ Starker Tobak, geradezu pietätlos! Aber er brauchte für sein Leben und das seiner Jünger diese Eindeutigkeit. Als braver Zimmermann und ältester Sohn, der für Mutter und Geschwister den Lebensunterhalt verdiente,  hätte er keine Zeit mehr gehabt, die ganze Menschheit zu erlösen. Eigentlich ist  ein Doppelleben als Christ und als ganz normaler Mensch gar nicht möglich. Aber es hilft mir zu verstehen, warum die eindeutige Schärfe in den Aussagen Jesu schon so manchen seiner Zeitgenossen  auf die Palme getrieben hat. Und doch wiederum soll Luther gesagt haben, man könne in jedem Stand (Beruf) selig werden. Nichts wäre so  schrecklich, als wenn alle dazu geboren wären, um die Welt zu erlösen. Aber die Rolle, die wir haben, können wir schon eindeutiger leben und mit mehr Glaubensinhalt füllen. Wir würden daran gesunden und das würde auch anderen gut tun.  

 

Ihr

Dirk Küsgen