Aber bleiben wir beim Thema Geburtstag. An denbeiden Pfingsttagen feierten wir nämlich Geburtstag. Das Geburtstags-"Kind" ist schon etwas betagt - etwa 1990 Jahre (ganz genau weiß man das nicht) wird es alt. Es trägt den Namen "Kirche" und kam am Tag des Pfingstwunders auf die Welt.
Damals, so erzählt die Apostelgeschichte im Neuen Testament, waren die Jünger in Jerusalem in einem Haus versammelt, durch das plötzlich ein frischer Wind wehte. Über ihren Köpfen sahen die Jünger kleine Flammen; sie waren - dieses kleine Wortspiel sei gestattet - Feuer und Flamme. Der Heilige Geist hatte sie ergriffen, und auf diese Weise buchstäblich "be-geistert" gingen sie hinaus auf die Straßen, um dort den Menschen von Jesus Christus zu erzählen. Am Ende des Tages hatten sich dann nicht weniger als 3000 Menschen taufen lassen; die erste christliche Gemeinde war geboren.
Die Ausgießung des Heiligen Geistes wird von einem erstaunlichen Wunder begleitet, denn in Jerusalem sind - anlässlich eines jüdischen Festes - Menschen aus aller Herren Länder versammelt; trotzdem verstehen sie, was die Apostel predigen. Die babylonische Sprachverwirrung wurde zumindest für diesen einen Tag außer Kraft gesetzt.
Zu Pfingsten 2020 werden wir kaum die Gelegenheit haben, Menschen fremder Sprache auf unseren Straßen zu treffen. Denn in Europa sind die meisten Grenzen geschlossen worden, und sie werden erst langsam wieder geöffnet. Aber unabhängig davon glaube ich, dass wir uns - auch wenn wir die gleiche Muttersprache haben - mehr um gegenseitiges Verständnis bemühen müssen. Mir macht es Sorge, wenn angesichts der Diskussion um die Lockerung der Corona-Beschränkungen der gegenseitige Respekt verloren geht und eine Verständigung nicht mehr möglich ist. Hören wir einander überhaupt noch zu? Oder hören wir nur noch auf unser eigenes Gerede bzw. das in der Filterblase, in der wir uns befinden? Ja, in einer Krise wie der gegenwärtigen werden Fehler gemacht. Niemand kann behaupten, er wisse eine Patentlösung. Aus Fehlern kann man aber lernen; darin liegt ihr ganz eigener Wert. Umso unerträglicher ist das gar nicht so leise Geraune um finstere Absichten der Politik oder irgendwelche Weltverschwörungen.
Der biblische Bericht vom Pfingstwunder endet mit einer Predigt des Apostels Petrus; sie beginnt mit der Bitte, ihm zuzuhören; Martin Luther übersetzt diese Stelle in wunderschöner Weise: "Lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen." Die Bitte um Gehör ist genaugenommen eine Bitte um Vertrauen. Vertrauen ist der Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält. Wo Vertrauen gewagt wird, ist Großes möglich. Das ist die Botschaft des Pfingstfestes.
Um auf den Anfang zurückzukommen: Was ist mein Wunsch zum Geburtstag der Kirche? Ich wünsche ihr, ich wünsche Ihnen und mir, dass uns der Mut zum Vertrauen nicht verlorengeht und wir immer bereit bleiben, einander zuzuhören. Und natürlich wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Pfingstfest.
Ihr Pfr. Thomas Bracht