EvangelischeEv. Kirche in Ennepetal, Gevelsberg, Haßlinghausen, und Schwelm

Gott lässt uns nicht fallen

In der Apotheke meiner Eltern fuhr ein älteres Ehepaar abends Medikamente aus. Eines Tages erzählten meine Eltern mir eine schreckliche Geschichte.

Dirk Küsgen in Klinikseelsorger im Helsios-Klinikum Schwelm

   

Der Sohn der Leute war drogenabhängig. Schon oft hatte er seine Eltern belogen. Diesmal schien es ihm Ernst zu sein mit dem Ausstieg. Die Eltern kauften ihm eine Fahrkarte zur Therapie und eine neue Jacke. Er kam dort nie an, weil er es nur bis zum Bahnhof schaffte. Dort verhökerte er Fahrkarte und Jacke. Da kommt dir als Zuhörer doch die Wut! Die Eltern verdienten sich sauer ein paar Mark zur Rente dazu, kauften davon Sachen, und der Junge nutzt seine Chance nicht! Aber welche Alternative hätten die Eltern gehabt? Hart zu bleiben hätte ebenfalls das Todesurteil für den Jungen bedeuten können. Sie mussten ihm die Chance geben. So hatten sie sich am Ende nicht vorzuwerfen, nicht alles ihnen Mögliche getan zu haben. Da ich die Familie nur aus Erzählungen meiner Eltern kannte, weiß ich nach 30 Jahren nicht mehr sicher, wie sie ausging. Ich meine mich zu erinnern, dass der Sohn bald darauf gestorben ist. Vielleicht hat er aber doch noch die Kurve gekriegt. Ich weiß es nicht mehr hundertprozentig genau.

  

Aber ich weiß, wie die Geschichte am Kreuz ausging. Auch Gott ist oft mit ungehaltenen Versprechen enttäuscht worden. Der Mensch an sich ist oft Wiederholungstäter wider besseres Wissen, geradezu zwanghaft. Die Menschheit als Ganze hat ebenfalls eine hohe Selbstzerstörungstendenz. Sie missbraucht Geschenke und Ressourcen Gottes wie der Junge Jacke und  Fahrkarte. Sowohl die Eltern als auch Gott hätten gute Gründe, ihre Schützlinge fallen zu lassen. Doch damit wäre auch ein Scheitern der Eltern bzw. der Schöpfung verbunden. Wohin aber dann mit dem berechtigten Zorn? Jeder Psychologe sagt: Nicht verschlucken, rauslassen! Genau das geschieht aber nicht: Am Kreuz explodiert der Zorn Gottes nicht zu einer gewaltigen kosmischen Katastrophe, sondern sein Zorn implodiert gewissermaßen gegen sich selbst oder seinen Sohn. Das ist lebensgefährlich: Aus Frustration wird Aggression, aus Aggression Depression, und die kann auch tödlich enden. Die Implosion am Kreuz endet sogar tödlich. Aber Gott findet einen anderen Ausweg, einerseits sich selbst und seiner Liebe treu zu werden, und doch nicht alles unverändert zu lassen, wie es ist. Es hätte beim ewigen Karfreitag bleiben können, beim totalen Beziehungstod zum Menschen, letztlich sogar beim Tod Gottes. Doch mit Ostern kommt alles anders. Es erscheint in Jesus der neuen, verwandelte Mensch als Erster seiner neuen Schöpfung. In ihm ist die alte Schöpfung im doppelten Sinne aufgehoben. Das alte Leben musste aufgehoben werden und sterben, aber es ist andererseits gut aufgehoben und integriert in der neuen Schöpfung. Gott blieb sich selbst trotz oder gerade wegen seiner grenzenlosen Liebe zu den Menschen treu.

  

Ihr

Dirk Küsgen