Oma freut sich über das “Ständchen”. Nach der Feier, als die Gäste wieder gegangen sind, denkt sie über den Tag nach. Da fallen ihr die Worte wieder ein: “Viel Segen!” Was das wohl bedeuten mag. Sie wäre ja jetzt in einem gesegneten Alter, hat die Bürgermeisterin gesagt. Ist sie das? Mit den Pillen, die morgens, mittags, abends und zur Nacht genommen werden sollen. Wenn sie den Rollator in den Bus hieven muss. Und morgen ihre beste Freundin beerdigt wird. Noch einmal so jung sein wie die Bürgermeisterin, das wäre ein Segen, denkt Oma. Aber sie will nicht undankbar sein an ihrem Geburtstag. Sie hat den Weltkrieg überlebt und sich in der Friedensbewegung engagiert. Sie hat ihre Kinder beim Erwachsenwerden kritisch begleitet, ihre Hochzeiten miterlebt und sich über die Enkel gefreut. Für ihren Mann ist sie eine treue Partnerin und Begleiterin gewesen. Er ist schon verstorben. “Viel Glück und viel Segen...” Oma lächelt. Sie geht ins Schlafzimmer. Auf dem Nachtisch liegt die Traubibel. “Zum gesegneten Gebrauch” steht vor der handschriftlichen Widmung des Pastors, der sie vor Jahrzehnten getraut hat. Immer wieder liest sie in der Bibel. Und sie erinnert sich an vieles, was sie gelesen hat. “Gott segnete sie und sprach...” steht im 1. Kapitel der Bibel, in dem die Erschaffung der Welt geschrieben steht. Segen sind Gottes gute Worte. Und heute hat sie viele gute Worte gehört. Das hat ihr gut getan. So schläft sie ein. Wenn sie wieder aufwachen wird, wird sie sich wundern, wo sie sich befindet und wie viel Zeit vergangen sein wird...
Ein gesegnetes Wochenende wünscht Ihnen Ihr Pastor Uwe Hasenberg