Ist dann der Satz vom Frieden, der beim Frühstück beginnt, nicht ein bisschen oberflächig, blauäugig und aufs Private reduziert? Können wir denn an den unfriedlichen Strukturen der globalisierten Welt und an den Egoismen ganzer Gesellschaftsgruppen oder einzelner Menschen etwas ändern?
Ich glaube, wie so oft gibt es hier keine eindeutige Antwort: Nein, es liegt jenseits unserer menschlichen Möglichkeiten, den umfassenden endgültigen göttlichen Frieden hier und jetzt oder später zu schaffen. Und ja, wir können stetig an diesem Frieden arbeiten und ihn befördern. Gott hört nicht auf, uns immer wieder wie durch ein Fenster einen Blick auf seinen Frieden zu gewähren. Nie sehen wir ihn ganz, und doch spüren wir es jedes Mal genau, wenn wir einen Teil dieses Friedens sehen oder erleben. Das kann auch beim Frühstück passieren. Und: Wir können eben schon mal anfangen.
Frieden fängt beim Frühstück an: Für viele Menschen im unserem Umfeld liegt in diesem Satz eine ungeahnte Brisanz. Frühstück, das ist Privatsphäre, Bereich der Familie, das, was hinter verschlossenen Türen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit passiert. Diesen Bereich haben wir oft, wenn wir von Frieden sprechen oder über Gewalt nachdenken, gar nicht im Blick. Oder wir gehen davon aus, dass im privaten Bereich zumindest in unserer Umgebung, bei unseren Freunden und Bekannten und im christlichen Umfeld zwar nicht alles konfliktfrei, aber ohne Gewalt gelöst wird.
Leider ist das ein Trugschluss. Wenn jede Frau in Deutschland mindesteins einmal in ihrem Leben von häuslicher Gewalt betroffen ist, wird diese heimliche Gewalt auch irgendwo in unserem Umfeld stattfinden. Vielleicht regt sich bei nun Widerstand. "Das glaube ich nicht, diese Zahlen stimmen nicht." Der Widerstand ist verständlich. Denn das Thema "Häusliche Gewalt" ist in Gesellschaft und Kirche ein Tabu-Thema. Deshalb wissen wir wenig davon, deshalb macht es uns ohnmächtig und ratlos, wenn wir davon hören.
Aber Frieden fängt nicht nur beim Frühstück an, sondern auch damit, dass wir nicht die Augen verschließen und unseren Blick schärfen für Ungerechtigkeiten und Gewalt - auch in unsere Nähe.
Zur Zeit haben wir die einmalige Gelegenheit, uns mit dem Tabu-Thema "Häusliche Gewalt" auseinander zu setzen und uns zu informieren. In Hagen in der Lutherkirche (gegenüber dem Bahnhof) ist die Ausstellung "Rosenstraße 76" noch bis zum 5. Oktober zu sehen. Die BesucherInnen dieser Ausstellung betreten eine scheinbar ganz normale 3-Zimmer-Wohnung, in der sie die unterschiedlichsten Hinweise zum Thema finden. Sie erfahren, was auf Gewalt im häuslichen Bereich hinweist, wie sich Betroffene fühlen und wie sich Menschen verhalten können, die spüren, dass bei einer Freundin, einem Nachbarskind etwas nicht in Ordnung zu sein scheint.
Wir können anfangen, auch wenn wir noch nicht wissen, wie es weitergehen kann. Schließlich ist da immer noch eine göttliche Kraft, die diesen Schalom auch will. Wir können anfangen teilzunehmen am Geschick der anderen. Beim Frühstück und beim Abendbrot. Und beim Gang in eine Ausstellung. Wir sind eingeladen dazu!
Schalom wünscht Ihnen
Marianne Funda
Pfarrerin im Frauenreferat