Bei ihnen steht die praktizierte Nächstenliebe höher im Kurs als die Lehre. Selbst bei Konfessionslosen finden Caritas und Diakonie breite Zustimmung. Klassische Lehrinhalte wie die Auferstehung von den Toten dagegen werden selbst von vielen Kirchenmitgliedern nicht mehr geteilt, ob man das gut findet oder nicht. Umgekehrt: Stehen krasse Verfehlungen in der Praxis im Widerspruch zu höchsten moralischen Ansprüchen, so folgen massenhaft Austritte, egal was die Kirche lehrt.
Die Frage, ob ich (m)einer Kirche vertraue, gleicht einem meiner Prüfsteine vor einer politischen Wahl. Ich wähle nicht die mit dem besseren Programm, sondern den Politiker, dessen Gebrauchtwagen ich kaufen würde.
Und jetzt kommt die Pointe: Auch Gott macht nicht nur Versprechungen, er lässt Taten folgen- zu Weihnachten: das Wort wurde Fleisch (Johannes 1,1). Sein Programm bekam Hand und Fuß und ein Gesicht. Er lehrte nicht nur die Liebe, sondern er lebte die Liebe, die er lehrte.
Was folgt für uns daraus? Wir können Jesus an seinen Taten messen. Aber es gibt ja auch noch den Heiligen Geist, der in und durch uns wirken soll. So müssen wir damit rechnen, dass wir, weniger von Gott als von den Menschen an unseren Taten gemessen werden. Durch Jesus hat der unsichtbare Gott für die Welt ein Gesicht bekommen. Die Christen sind aber, ob sie will oder nicht, Leib Christi. Wir können ihn nicht ersetzen, aber wir repräsentieren ihn für die Welt gut oder schlecht, ob wir wollen oder nicht. Wir brauchen keinen einzelnen Stellvertreter Christi auf Erden, weil wir alle, bis er wiederkommt, seine Stellverter(innen) sind.
Dirk Küsgen