Doch das Lied hat sage und schreibe 15 Strophen. In den mittleren Strophen baut Paul Gerhardt die Brücke von den irdischen Gärten zum Garten Eden: Wenn es hier schon so schön ist, wie mag es dann erst im Paradies aussehen! In den letzten Strophen wechselt er von der Naturbeschreibung in der dritten Person zur direkte Anrede an Gott in der zweiten Person – sprich von der Naturbetrachtung zum Gebet: „Mach in mir deinem Geiste Raum, dass ich dir werd‘ ein guter Baum …“ Entgegen der aufsteigenden Hierarchie der Evolution von der Pflanze über die Tiere zum Menschen geht er hier den umgekehrten Weg. Der Mensch wird zur Pflanze.
Was haben uns die Pflanzen voraus? Sie herrschen nicht, sie dienen. Bäume spenden Schatten und Sauerstoff, Pflanzen verwöhnen unsere Augen mit ihrer Schönheit und geben Nahrung für Menschen, Ackervieh und Honigbienen. Pflanzen wachsen zwar über sich hinaus, bleiben aber demütig und dienen. Anders wäre die letzte Strophe „Erwähle mich zum Paradeis …“ auch eine sehr unbescheidene Anmaßung gegenüber dem Schöpfer. Die Strophe endet „ … dass ich dir bis zur letzten Reis‘ hier und dort ewig diene.“ Vom Dienen ist die Rede, nicht von Ausbeutung und Herrschaft. Ist es Zufall, dass wir die letzten Strophen meist nicht kennen und somit den tieferen Sinn des Liedes unbewusst unterschlagen?
Pastor Dirk Küsgen