Es waren Bilder, die von meinen Großeltern hinterlassen wurden. Alle Bilder, auf denen er niemanden mehr kannte bzw. die im Laufe der Jahre unkenntlich geworden waren, hat er aussortiert und entsorgt. Das erschien mir in dem Moment nachvollziehbar.
Kurze Zeit später schoss mir durch den Kopf: Irgendwann werde ich auf den Bildern sein, die man aussortiert.
Vermutlich lesen viele von ihnen auch die Traueranzeigen in der Zeitung.
Über vielen Traueranzeigen kann man Sätze lesen wie: „In unseren Gedanken lebst Du weiter.“ Oder: „Du wirst ewig in unseren Herzen sein…“
Ich finde es schön, so etwas zu lesen, zeigt es doch die Verbundenheit und Liebe zum Verstorbenen.
Doch ganz ehrlich: In spätestens 100 Jahren gibt es niemanden mehr, der mich kennt und in dessen Erinnerung wir weiterleben könnten. Umso mehr brennt die Frage in mir: Was bleibt?
Was bleibt von uns, wenn wir einmal nicht mehr sind? Wenn auch die Erinnerung an uns verblasst?
„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde […].“
So beginnt der Seher Johannes seine Bilder von der Zukunft im Buch der Offenbarung und greift damit Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja (Kapitel 65) auf. Hoffnungsworte. Weil sie davon berichten, dass Gott alle Ungerechtigkeit, alles Leiden wegnimmt und durch Frieden und Gerechtigkeit ersetzt in seiner neuen Welt.
Sie müssen dazu wissen: Die Christen, an die der Seher schreibt, erlebten damals eine massive Verfolgung im römischen Reich. Man wollte sie zwingen, nicht mehr an Jesus Christus zu glauben. Man wollte sie zwingen, den Kaiser als Gott anzubeten.
Doch viele Christen weigerten sich. Folglich wurden Sie gefangen genommen, gefoltert und getötet.
Der Tod, das Sterben und auch die Gefahr des Vergessens war also für sie eine alltägliche Gefahr.
Ihnen ruft Johannes zu: Habt keine Angst. Es kommt der Tag, an dem alles anders sein wird. Es kommt der Tag, an dem Himmel und Erde neu werden.
An der Situation der Verfolgung ändern diese Worte erst einmal nichts. Trotzdem sind es Hoffnungsworte. Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Zurück zu der kleinen Kiste meines Vaters mit den Schwarz-Weiß-Bildern.
Viele Menschen darauf kannte ich nicht.
Sollte ich einmal solch eine Kiste nach denselben Kriterien sortieren müssen, werden weitere Bilder verschwinden.
Und eines Tages wird man die Bilder aussortieren, auf denen ich, auf denen wir zu sehen sind.
Doch ich bin mir sicher: Da ist Einer, der jeden einzelnen Namen kennt. Einer, der niemanden vergisst. Und in dessen gütigen Armen wir alle geborgen sind – im Leben und im Sterben.
Was bleibt?
Alles das, was Gott tut! Und Gott macht alles neu. Daran erinnern wir uns am Ewigkeitssonntag! Voller Hoffnung. Mit großer Dankbarkeit. In freudiger Erwartung auf das Neue.
Herzlichst
Pfr. André Graf