Mir fiel ein Gemälde von Gerrit van Honthorst ein. Es stellt die Befreiung von
Petrus aus dem Kerker dar. Durch eine offene Tür fällt Licht. Es scheint auf das Gesicht von Petrus. Deutlich sind seine Gesichtszüge zu sehen. Die Stirn ist gerunzelt, in viele Falten gelegt. Die Augenbrauen sind hochgezogen, die Augen schauen ungläubig. Als könnte er seinem Blick nicht trauen. Unter den Augen sind tiefe Furchen. Er sieht müde und besorgt aus, so wie jemand, der viel mitgemacht hat. Petrus fasst sich mit der Hand an seinen Kopf. Eine Geste des Erstaunens oder auch des Zweifels. Als würde er sich fragen: „Was ist los? Ist das wirklich wahr, was passiert, oder spielt mir meine Fantasie einen Streich?“
In der Tür steht eine Person, eine Hand noch am Türgriff, die andere geöffnet und ausgestreckt. Es sieht aus, als wolle sie Petrus auffordern, ihren starken, muskulösen Arm zu ergreifen. Sie steht leicht nach vorne gebeugt, als würde es eilen. „Komm, steh auf“, scheint sie zu sagen. „Schnell, komm mit mir.“ Am Rücken der Person sehen wir noch so eben den Ansatz von Flügeln, der Großteil von ihnen ist draußen im Licht. Ein Engel. Ob dieser Engel ein Mann oder eine Frau ist, lässt sich nicht bestimmen. Jung sieht er aus, kraftvoll.
Am meisten fasziniert mich an diesem Bild das Spiel des Malers mit Licht und Schatten.
Die eigentliche Lichtquelle befindet sich draußen vor der Tür. Ein warmer, gelber Schimmer fällt in den Raum herein. Der Raum wäre bei geschlossener Tür völlig dunkel. Auffällig ist für mich, dass Petrus derjenige ist, der hell ist. Er scheint fast zu leuchten. Der Engel selbst, der leuchtet überhaupt nicht. Dabei würde man doch eigentlich erwarten, dass er es tut.
Aber wenn man genauer nachdenkt, dann ergibt es Sinn. Nicht die Engel leuchten, sondern sie bringen andere zum Leuchten. Sie sind da, plötzlich, unerwartet, und geben sich auf dem ersten Blick nicht einmal als Engel zu erkennen. Sie fordern uns auf, ihnen zu vertrauen. Ihre Hand zu ergreifen und sich von ihnen führen zu lassen. Aus dem Dunkel ins Licht.
Das hat Petrus getan. Er ist mit dem Engel mitgegangen. Aber er begreift erst, dass er diesen Kerker überlebt hat, nachdem ihn der Engel aus dem Kerker geführt hatte, sie schon ein Stück Weg gegangen sind und der Engel verschwunden war. Im Nachhinein wird ihm deutlich, dass Gott ihn bewahrt hat. Was für ein schönes Bild das doch ist, denke ich. So tröstlich. Denn bei der Frage nach dem, wie lang das alles noch dauern mag, dürfen wir sicher sein, dass es eine Zeit nach der Krise gibt. Was freue ich mich darauf, nicht nur virtuell nah zu sein!
Ihre Anke Lublewski-Zienau