Ich weiß nicht, warum: Gibt es einen Unfall, eventuell mit Verletzten, gar Toten? Oder ein liegengebliebener LKW oder ein Loch in der Autobahn? Erleiden genau in diesem Moment Menschen etwas Schreckliches? Oder haben sie nur gewaltig Ärger? Ein seltsames Gefühl – dieses Mutmaßen und dieses Ganz-nah- und doch Weit-weg-Sein.
Ich weiß nicht, wie lange: Es ist jetzt völlig egal, wann ich wo sein muss – es geht jedenfalls nicht. Ich kann nur telefonieren. Ich schaffe es nicht zur geplanten Zeit und keiner kann mir sagen, wann es weiter geht.
Ich bin machtlos: Das macht mich hilflos. Wenn ich sehr im Stress bin, wächst der Stress augenblicklich. Vor allem, wenn andere von mir abhängig sind. Ich versuche Dinge per Handy zu koordinieren, Aufgaben anderen zu übertragen. Ich überlege, was ich sofort im Auto erledigen kann.
Ich bin machtlos: Das entlastet mich auch. Ich kann nichts an der Situation ändern. Umkehren, dem Stau entkommen – ausgeschlossen. Ich und alle anderen, die jetzt auf mich warten, müssen sich fügen. Ich fange an nachzudenken: Klappt das Abendessen auch ohne mich, obwohl ich die Einkäufe mitbringe? Kann jemand anderes die Sitzung leiten? Soll ich die Sonntagsgedanken für die wap handschriftlich in mein Notizbuch scheiben?
Wir sind in der Regel nicht mehr auf unvorhergesehene Situationen eingestellt. Wir sind im Plan, die Zeit ist gerastert, wenig Raum für Spontanität. Aber hier und jetzt im Stau muss ich neue Wege gehen: ich muss und kann Verantwortung abgeben, neue Methoden ausprobieren, Dinge sein lassen oder anderen überlassen. Gar nicht so schlecht, dieser Lernprozess. Ich spüre, dass ich nicht die Fäden in der Hand habe, bzw. dass das Leben weitergeht, wenn mir ein oder zwei Fäden entgleiten.
Und: ich kann Vertrauen lernen. Oder besser: das Vertrauen, das ich als Christin ja habe, das Vertrauen ins Leben, in Gott und in die Menschen um mich herum, dem Praxistest aussetzen. Gottvertrauen – ein zu großes Wort für eine Alltagssituation? Ich glaube nicht. Denn es kommt auf meine Haltung an – und die kann ich im Alltag lernen – Gott ist sich nicht zu schade für meinen kleinen Alltag.
Bleibt noch das mulmige Gefühl, was am Anfang des Staus passiert ist. Nach einer halben Stunde läuft es wieder. Hundert Meter weiter steht ein ausgebrannter Kleinwagen auf dem Standstreifen. Schlimm genug, aber kein Großaufgebot von Rettungswagen. Gott sei Dank! Dafür, dass es diesmal keine Katastrophe war - und für die kleine Lehrstunde in Gelassenheit.
Bleiben Sie behütet! Im Stau und überall.
Ihre Marianne Funda