Erinnern wir uns zurück: Der Passivraucher rauchte billig mit, weil sein Nachbar ihm nicht nur etwas vorrauchte, sondern er dessen Qualm einatmete. Unbekannter blieb dagegen der analoge Begriff "Passiv-Glauben". Das funktionierte so: Ich glaube zwar selbst nicht, weiß aber besser als der, der glaubt, wie ein gläubiger Christ auszusehen hat. Wenn der für mich mitbetet und an meiner Stelle in die Kirche geht, ist das für mich nicht so gesundheitsschädlich. Und wie sahen die Vorzeige-Gläubigen von früher aus? Wie Pastöre, Nonnen, Mönche und ältere Damen mit Glaubenszwiebeln (Dutt) am Hinterkopf. Sie mussten stellvertretend für alle "daran glauben" und wirkten etwas angestaubt. Es kostete die nächsten Generationen viel Kraft und Phantasie, um dieses Image wieder loszuwerden.
Die Nachkriegs-Generation wollte nicht mehr stellvertretend für alle daran glauben. Deswegen hinterfragten sie stellvertretend für alle alles, um es kompliziert neu zu beantworten und nicht verstanden zu werden. Je mehr einige Hirten, stellvertretend für die Schäfchen zweifelten, desto mehr glaubten Frau Gottlieb und Herr Bleibtreu für ihre Hirten mit. Diagnose: Kirche paradox, Modell 1 gescheitert!
Wir probierten als nächste Generation einen anderen Weg, um das Image loszuwerden. Wir verkleideten uns als "ganz normale Menschen" und gingen als V-Leute Gottes in Jeans auf Friedensdemos, in Studentenlokale, in Fußball-Stadien und auf Rock-Konzerte. Dorthin halt, wo viele normalen Menschen waren. Zur Belohnung erntete ich Sätze wie "Du bist doch eigentlich ganz normal, warum studierst du eigentlich Theologie?" Äußerst nachdenklich machte mich, dass mir später in Amt und Würden keiner mehr diese Komplimente machte.
Ich komme zu den karnevalistischeren Auswüchsen: Vor vielen Jahren erzählte mir ein Gemeindeglied, sie habe einen Krankenhausgottesdienst besucht, aber da habe kein Pastor, sondern ein Feuerwehrmann gepredigt. Ich konnte mir das nicht erklären und recherchierte. Mein erster Verdacht, dass die Frau unter Rest-Narkose den Gottesdienst mit dem Probealarm verwechselt hatte, erwies sich als haltlos. Der vertretende Pastor hatte eine Feuerwehr-Uniform angezogen, weil er eigentlich Notfallseelsorger war. Kölle alaaf!
Dafür bekam ein anderer Pfarrer beim Mantelkauf in Dortmund den mitfühlenden Rat des Verkäufers: "Den würde ich nicht nehmen. Da sehen Sie ja aus wie ein Pastor!" All diese Real-Satiren sind nicht von mir erfunden und beruhen auf wahren Begebenheiten. Sie erinnern stark an Reinhard Meys "Mann aus Alemania". Diagnose: Extreme Verhaltensauffälligkeit durch exzessive Unauffälligkeit. Einige Geistliche fielen daraufhin wieder ins andere Extrem zurück. Sie trugen wieder Hemden mit Pastorenkragen und waren im Dunkeln sieben Meilen weit als Geistliche zu erkennen. Die Hardliner unter ihnen tragen sogar am Strand und in der Sauna schwarzen Socken. Modell 2, "Undercover", war somit auch gescheitert.
Was lässt sich wohl die dritte und nächste Generation einfallen? Den Prognosen zufolge ist ihre Strategie entwaffnend. Es gibt sie einfach kaum noch! Sie verweigern ihren Heiligenschein durch schnöde Nicht-Existenz. Jetzt ist aber endgültig Schluss mit dem Passiv-Glauben! In Zukunft sind Sie alle gefragt. Besteht Grund zur Panik? Im Gegenteil, es gibt schon zwei Lösungen. Modell 1: Pastoren arbeiten mit Hauptamtlichen aus anderen Berufen zusammen und bekommen nur noch pastorale Kernaufgaben. Werden die größten Allzweckwaffen seit Erfindung des Schweizermessers am Ende noch teamfähig?
Das andere Modell ist auch ein Team-Modell: Ehrenamtliche springen nicht nur ein und herum, sondern machen es richtig gut: Seit über 100 Jahren schon gestalten Ehrenamtliche Kindergottesdienste liebevoll. Seit einigen Jahren gestalten sie auch samstags Konfirmandenstunden. Junge Erwachsene feiern lebendige Gottesdienste für andere junge Erwachsene, Jugendliche oder Kleinkinder, mal mit Orgel, mal mit Band. Es wird wieder mehr Laienprediger /innen geben, die heute offiziell "Prädikantinnen und Prädikanten" heißen. Die verbleibenden Pfarrer/innen werden als Scouts die Aufgabe haben, viele Freiwillige zu suchen und zu begleiten! Nicht die Kirche stirbt, sondern ein Berufs-Bild, das die Vielfalt der Gaben des Heiligen Geistes auf eine Einzel-Person reduziert hat. Statt solchen Allmachtsphantasien nachzutrauern, sollte man umsetzen, was Luther schon vor 500 Jahren gewollt hatte: Das Priestertum aller Gläubigen. Vorteil: Wenn endlich alle zu Priestern werden, müssen sich die Geistlichen nicht mehr als normale Menschen verkleiden. Zum Schluss wag ich noch einen Blick über den ökumenischen Zaun: Auch Papst Johannes XXIII. wird gut fünfzig Jahre nach seinem Tod im Himmel vor Freude hüpfen. Er wollte sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Wichtig sind ab sofort dafür Sie!
Ihr Pastor Dirk Küsgen