Gevelsberg. Über 100 Besucherinnen und Besucher kamen im Waldheim des CVJM zusammen, um dem historischen Vortrag zu lauschen. Unter den Zuhörern befand sich auch Ruth Lintl, Tochter von Heinrich Brink, der Anfang des 20. Jahrhunderts den Stüting als geeignetes Gelände für den Verein entdeckte.
Kindheitserinnerungen
Dr. Korn berichtete zunächst von ihren ganz persönlichen Erinnerungen aus frühester Kindheit.. "Immer am ersten Tag im Sommer sind wir mit Schwester Anna, die mir damals schrecklich alt vorkam, hoch zum Stüting gelaufen. Für uns Kinder war das immer etwas ganz Besonderes." Oben angekommen erwartete die Sonntagsschüler ein vergnüglicher Nachmittag mit Kuchen, Sackhüpfen und Eierlaufen. Gut in Erinnerung geblieben ist Dr. Korn auch ihre erste Begegnung mit Sinti und Roma auf dem Stüting. "Ihre bunten Kleider, das Feuer, die Pferde; das alles hat mich damals wahnsinnig fasziniert. Doch meine Eltern haben mich ermahnt, sie nicht anzustarren und weiter zu gehen." Von dem schweren Schicksal, das die Roma und Sinti erwartete, ahnte das damals kleine Mädchen noch nichts. Heute erinnert eine Gedenktafel auf dem Gelände an die schrecklichen Verbrechen. "Diese Menschen wurden hier festgesetzt. Im März 1943 wurden sie zur Lindengrabenschule heruntergetrieben und von dort in Lastwagen nach Ausschwitz abtransportiert," berichtet Dr. Korn von einem dunklen Kapitel des Stüting, das sie nur aus Erzählungen und Nachforschungen kennt, denn während des Krieges kam sie nicht mehr auf den Stüting. "Keiner hat gewagt, sich zu weit von zu Hause wegzubewegen. So hatte ich den Stüting schon fast vergessen." Doch im Jugendalter entdeckte sie den Platz neu. ". Oft bin ich einfach zum Lernen hier hoch gekommen oder habe mich mit Freunden getroffen."
Fantasie und Legenden
Besonders der große Stein auf dem Gelände regte die Phantasie der Jugendlichen an. Hatte doch ihr Lehrer immer gesagt: "Der Stüting ist ein heiliger Ort. Dort wohnten die Germanen und es wurden viele Stuten geopfert." Für Dr. Korn und ihre Schulkameraden war damals klar, dass dies der Opferstein gewesen sein musste. Doch es gibt noch eine andere Theorie, der Dr. Margarete Korn heute mehr vertraut. "Man sagt, dass die Zigeuner diesen Stein als Waschplatz genutzt haben." Doch wie bei so vielen Legenden rund um den Stüting, kann man auch das nicht mit Sicherheit behaupten. Genauso wenig sicher ist, wie der Name Stüting entstanden ist. Der Stüting hat viele Geheimnisse. "Über die Geschichte ist wenig bekannt. Man hat kaum Dokumente und Aufzeichnungen zur Verfügung," so Dr. Korn, die es für möglich hält, dass um 600 schon die ersten Menschen auf dem Stüting lebten. Die jüngere Geschichte des Stüting lässt sich eindeutiger rekonstruieren. Aufzeichnungen aus dem 17. Jahrhundert schildern die erbärmlichen Lebensbedingungen in den Familien und auf den Höfen. "Mensch und Tier haben unter einem Dach gelebt," weiß Dr. Korn zu berichten.
Kaiser-Wilhelm-Halle
1911 beginnt die Geschichte des CVJM auf dem Stüting. In diesem Jahr erwarb der Verein das Grundstück. 1913 wurde schließlich die Kaiser-Wilhelm-Halle erbaut. Zu deren Einweihung kamen, einem alten Zeitungsbericht zufolge, 2.500 der damals rund 11.000 Einwohner Gevelsberg. 1924 begann auf dem Stüting ein Herbergsbetrieb, der bis zur Schließung 1970 über 40.000 Übernachtungen zählte. Nach und nach wuchs die Anlage des Vereins. 1927 wurde ein Sportplatz ausgebaut, 1975 gab es eine große Renovierung und vier Jahre später kam die Tennisanlage dazu. Das sonntägliche Kaffeetrinken, das 1976 eingeführt wurde, hat bis heute Tradition.
Geschichtswerkstatt
Wie Dr. Korn hatte fast jede Zuhörerin und jeder Zuhörer seine ganz eigenen Erinnerungen an den Stüting mitgebracht. Beim anschließenden Waffelessen wurden diese in aller Ruhe ausgetauscht. Außerdem konnten sich die Gäste auf den ausführlichen Informationstafeln anhand von Originalverträgen und Fotos weitere Einblicke in die Stütinggeschichte verschaffen.
Aufgrund der großen Resonanz plant Rüdiger Frohn, Vorsitzender des CVJM; für den Sommer eine Geschichtswerkstatt: "Dort können wir uns noch einmal intensiv Zeit nehmen, um uns mit diesem Thema zu befassen." (well)