EvangelischeEv. Kirche in Ennepetal, Gevelsberg, Haßlinghausen, und Schwelm

Fürchtet Euch nicht!

Vor unserem Pfarrhaus steht ein Weihnachtsbaum. Das ist für mich ein besonderer Baum. Denn mit ihm verbindet mich eine kleine Geschichte.

Pfarrer Andreas Schulte ist Superintendent des Ev. Kirchenkreises Schwelm

Es muss etwa 10 Jahre her sein, da haben meine Frau und ich diesen Baum von meiner Schwiegermutter übernommen. Er hatte ihr in der Weihnachtszeit gute Dienste geleistet, und als dann Weihnachten vorüber war, sollte er nicht den gewöhnlichen Weg gehen, den viele seiner Tannenbaum-Geschwister nach Weihnachten nehmen, sondern bekam noch mal ein zweites Leben geschenkt. Er wurde von meiner Frau und mir vor dem Pfarrhaus eingepflanzt. Anfangs war er noch klein und unauffällig. Wir waren auch unsicher, ob er an seinem neuen Ort Wurzeln schlagen würde. Es ist ja alles andere als einfach, in fremder Erde Wurzeln zu schlagen. Doch der kleine Baum schaffte es.

     

Wir haben ihn dann irgendwann zum Weihnachtsbaum gemacht. Zunächst reichte dazu eine kleine, batteriebetriebene Lichterkette, später wurde es mehr. Wir kamen kaum noch an die Spitze heran, um den Kranz für die Lichterkette dort einzuhängen. Die Erde rund um den Baum ist in der Winterzeit oft feucht, und es ist darum nicht ungefährlich, an diesem doch recht steilen Hang eine Leiter aufzustellen.

Was habe ich also gemacht? Ich habe einfach eine Baumschere genommen und die Spitze abgeschnitten, damit ich die Lichterkette wieder über den Baum bekomme. Das war natürlich ein gärtnerischer Frevel und sah auch nicht wirklich gut aus. Umso erstaunter bin ich heute immer noch, dass sich der Baum von meinem unkundigen Eingriff in seinem Lebensdrang und seiner Sehnsucht nach Schönheit nicht irritieren ließ. Denn nach einiger Zeit zeigte sich, dass zwar von der alten Spitze lediglich noch der hässliche Stumpf zu sehen war, dass der Baum aber nun einfach zwei neue Spitzen ausbildet hatte, die in schöner Eintracht in den Himmel aufragen und sich danach strecken. Inzwischen hat er sogar wieder eine gerade und schöne Spitze. Man kann sich auch an solchen kleinen Dingen innerlich aufrichten. Ich jedenfalls kann das.

     

Und mittlerweile kommt mir das wie ein kleiner himmlischer Wink vor. Denn vieles ist im Lauf dieses aufwühlenden Jahres 2023 und auch davor passiert, was man nur als Einschnitt bezeichnen kann. Das ist die Selbstverständlichkeit, mit der wir unseren Wohlstand betrachtet haben. Das ist die Selbstverständlichkeit, mit der wir unsere Demokratie betrachten haben. Das ist die Selbstverständlichkeit, mit der wir davon ausgingen, durch Handel, Austausch und gegenseitige Abhängigkeit die Welt friedlicher gemacht zu haben. Dass ist die Erwartung, dass Antisemitismus keine Rolle mehr in unserem Land spielt. Viele scheinbare Sicherheiten sind verloren gegangen. Es tut einfach weh. Da ändern auch die kleinen Zeichen der Hoffnung erst mal wenig dran, aber es ist doch gut, dass sie da sind. Man muss sie nur für sich entdecken. 

    

Niemand kann wissen, wie sich die Dinge in dieser unübersichtlichen Lage entwickeln werden. Das kann einem schon Angst machen. Doch der Glaube an das, was Weihnachten begonnen hat, speist sich nicht aus Panik, Angst oder Furcht, sondern aus Hoffnung. Deshalb lautet der allererste Satz, mit dem die Weihnachtsbotschaft an die Hirten von Bethlehem und damit an alle Welt verkündigt wird: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.

  

Andreas Schulte