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"Hier begegnet einem das pralle Leben"

Im Schwelmer Tafelladen gibt es preiswerte Lebensmittel für Menschen in Not

 

"Ich weiß, was Hunger ist." Mehr braucht Marianne Scheu nicht zu sagen. Ein gutes Jahr ist es her, dass die geborene Schlesierin in der Tageszeitung auf ein Projekt stieß, mit dem Caritas und Diakonie in Schwelm Neuland betraten: Den Tafelladen. "Da gibt es Menschen, die Hunger haben und sich kein Gemüse leisten können - und gleichzeitig werden in Supermärkten Lebensmittel weggeworfen, weil das Haltbarkeitsdatum bald überschritten ist. Das treibt mich um."

 

Mehr als 80 Menschen warten vor dem Sozialkaufhaus in der Markgrafenstraße auf die Öffnung des Tafelladens.

Heute steht Marianne Scheu im Gemüse-Bereich. Die Ware muss so eingeteilt werden, dass sie für alle Wartenden reicht.

   

Das Thermometer zeigt neun Grad Minus. Hochnebel steigt über Schwelm auf; es verspricht ein strahlender, kalter Tag zu werden. Prima, um spazieren zu gehen. Nicht prima, um in einer Schlange zu stehen. Doch genau das tun 81 Menschen um kurz vor zehn in der Markgrafenstraße. Denn in wenigen Minuten öffnet der Tafelladen seine Pforten.

Marianne Scheu ist schon seit acht Uhr da. Sie ist ein energischer, freundlicher Mensch; hilfsbereit, doch sicher keine mit "Helfersyndrom". Nun steht sie im Ladenlokal des Sozialkaufhauses, einmal im Monat, gemeinsam mit insgesamt 40 Ehrenamtlichen, ohne die die Idee nie zur Tat geworden wäre. "Auf unseren ersten Aufruf hin haben sich spontan fast 70 Leute gemeldet - wir waren total baff", erinnert sich Heike Orth, die Leiterin der Schwelmer Wohnungslosenberatung.

Die Freiwilligen sorgen dafür, dass einmal wöchentlich, immer dienstags, Lebensmittel an Menschen ausgegeben werden können. Kisten schleppen, Ware appetitlich dekorieren - und dann vor allem das zügige, gerechte Ausgeben der Ware - knapp vier Stunden liegen zwischen der Anlieferung und dem letzten "Bis nächste Woche dann". Vier Stunden, die es in sich haben. "Hier begegnet einem das pralle Leben", beschreibt die pensionierte Pädagogin Marianne Scheu. Spätaussiedler, Ausländer, allein erziehende Mütter, Obdachlose und viele Menschen, die seit Hartz IV einfach nicht mehr zu recht kommen. Die jede Gelegenheit, Geld zu sparen, dankbar annehmen.

Immer vier Kunden - mit einem eher symbolischen Euro beteiligt sich jeder an den Unkosten, die durch Raummiete und Verbrauchsmaterialien entstehen - betreten gleichzeitig das provisorische Ladenlokal. Jeder erhält einen gelben Plastikkorb, in den die Waren gelegt werden. "Wir müssen den Überblick behalten, damit es möglichst gerecht zugeht", erklärt Heike Orth das Prozedere. Ein Ehrenamtlicher gibt alle paar Minuten einen Zwischenstand durch: "Draußen stehen noch 30!"

Viel zu schnell leeren sich die Regale. Brot gibt es heute fast gar keines - "vor zwei Wochen mussten wir welches einfrieren, so viel war es", erinnert sich Angelika Beck von der Caritas. Die Lebensmittel kommen von der Wuppertaler Tafel; was und wie viel geliefert wird, ist Woche für Woche ein Glücksspiel. Heute lachen die Ehrenamtlichen vor allem über vier 5-l-Töpfe mit Senf - "vielleicht eignet sich das als Gesichtspackung", schmunzelt eine. Mit Brot, Joghurt und Fleisch können die Kunden mehr anfangen. Was komplett fehlt, ist haltbare Ware: Nudeln, Reis, aber auch H-Milch oder Kaffee.

Angelika Beck treibt die Kunden und die ehreamtlichen Helfer an. Keine Respektlosigkeit, sondern ein absolutes Muss: Draußen ist es kalt, und auch hier drinnen kriecht die Kälte langsam hoch. Die Ehrenamtlichen tragen dicke Jacken - mancher der Kunden kommt in Sommerjacke oder Pullover. Armut erkennt man oft an den Füßen - viele Sohlen sind abgelaufen, mancher trägt trotz der Kälte nur zerschlissene Turnschuhe.

Für einige der Ehrenamtlichen ist die größte Schwierigkeit, nicht zu viel in den gelben Plastikkorb zu legen. "Es muss ja für alle reichen", sagt Frau Scheu nachdenklich. Sie hat sich das Gemüse, für das sie heute verantwortlich ist, gut eingeteilt. Bohnen und Brokkoli? "Nein, das geht nicht", sagt sie freundlich, aber bestimmt.

Keine leichte Aufgabe für Menschen, die den Umgang mit Scham, Hilflosigkeit und manchmal auch Wut nicht professionell gelernt haben. "Manche bedanken sich so herzlich, dass es einem fast peinlich ist", hat Marianne Scheu schon erlebt. Die Ehrenamtliche im Wurstbereich heute hat ein großes Herz, aber ein schlechtes Augenmaß - am Ende ist ihr Regal leer, obwohl noch Wartende frierend vor dem Sozialkaufhaus stehen. "Nichts mehr da? Ich warte doch schon seit einer Stunde..." Dann kommt auch schon mal Zorn hoch, das ist verständlich.

"In solchen Situationen ist es besonders wichtig, dass wir den Ehrenamtlichen zur Seite stehen", weiß Heike Orth. Sie und ihre Kollegin von der Caritas sind selbstverständlich jeden Dienstag dabei, packen mit an, greifen ein, wenn die Stimmung zu kippen droht. Beide sind sich einig: "Ohne Ehrenamt wären solche Projekte gar nicht mehr möglich!"

"Noch zehn Personen..." - jetzt wird es wird knapp. Ein paar welke Salatköpfe, Creme fraiche und Schnittblumen, die angesichts der Minusgrade die Köpfe hängen lassen - alles andere ist schließlich verteilt. Die Schlange vor der Türe ersetzt den Kalender. Heute, am 23. des Monats, ist nicht mehr viel übrig vom Arbeitslosengeld 2. Nächste Woche werden es wohl noch mehr werden...

Wer Interesse hat und die Schwelmer Tafel unterstützen möchte, kann sich bei Heike Orth vom Diakonischen Werk unter der Rufnummer 0 23 36/60 01 informieren. Spendenkonto: Sparkasse Hagen, BLZ 450 500 01, Konto 100 110 010, Stichwort: Hilfe für Schwelmer in Not. (nici)