EvangelischeEv. Kirche in Ennepetal, Gevelsberg, Haßlinghausen, und Schwelm

Schutz vor Überstellung

Das Presbyterium der Ev. Kirchengemeinde Haßlinghausen-Herzkamp-Silschede hat am 06. September in einer Sondersitzung beschlossen, einem syrischen Flüchtling Kirchenasyl zu gewähren.

Pfarrer Michael Helmert, Pfarrer Thomas Bracht und Miriam Venn (v.l.n.r.) informierten die Öffentlichkeit über das erste gewährte Kirchenasyl in Haßlinghausen.

  

 

Nach Rücksprache mit der Pressestelle der EKvW hat sich die Kirchengemeinde dazu entschlossen, den Namen und auch den Aufenthaltsort  des Asylnehmers nicht öffentlich zu machen. Dies geschieht ausschließlich zum Schutz von Herrn W., wie die bestreffende Person im Folgenden genannt wird.

  

„Die "Flüchtlingshilfe Sprockhövel" hatte am 03.09.2015 um Kirchenasyl für Herrn W., einem Flüchtling aus Syrien, gebeten. Diesem drohte in der Nacht vom 06. auf den 07. September die Abschiebung nach Italien. Herr W. ist 26 Jahre alt, ledig, und ohne Angehörige auf der Flucht. Seine Familie befindet sich in Syrien. Herr W. ist assyrischer Christ“, erklärte Pfarrer Thomas Bracht in einem Pressegespräch am Dienstag, den 08. September. Zusammen mit Pfarrer Michael Helmert und der Koordinatorin der Flüchtlingshilfe Sprockhövel, Miriam Venn, informierte er dort die Öffentlichkeit über den ersten Fall von Kirchenasyl in Haßlinghausen.

   

Weitgehend integriert

„Herr W. ist 1989 in Syrien geboren und hat dort erfolgreich an der Universität von Aleppo ein Jurastudium abgeschlossen. Aufgrund des Krieges dort war es ihm nicht mehr möglich, sein Abschlusszeugnis zu erhalten“, erzählt Miriam Venn. „Seine Familie, Eltern sowie 6 Geschwister, lebt zurzeit noch in Syrien. Herr W. kam mit der Hoffnung, seine Familie nach Deutschland nachholen zu können. Als christlich-orthodoxe Christen fürchten sie insbesondere den Terror des IS.

Herr W. ist über Armenien (dort leben noch Verwandte) per Flugzeug nach Italien gekommen. Am Flughafen in Rom ist er gewaltsam in Polizeigewahrsam genommen worden. Sein Pass wurde einbehalten und nicht wieder ausgehändigt. Die Behörden ließen ihn unterversorgt auf dem Boden schlafen bis sie nach einigen Tagen seine Fingerabdrücke nahmen und ihn dann ohne weitere Informationen wegschickten.

Im Oktober 2014 ist Herr W. nach Deutschland gekommen. Seit November 2014 lebt er in Sprockhövel, wo er bereits im Dezember eine private Wohnung beziehen konnte.

  

Herr W. hat von Beginn an in Sprockhövel Deutschkurse besucht. Um noch schneller zu lernen, besucht er derzeit Kurse in Schwelm und Sprockhövel. Er hat, sobald die Möglichkeit dazu bestand, mit dem Vereinssport in Haßlinghausen begonnen (Fußball und Tischtennis) und besucht regelmäßig sonntags die Kirche. Für das kommende Wintersemester hat er sich für Gasthörer-Programme für Flüchtlinge an den Universitäten Bochum und Wuppertal beworben.

Herr W. pflegt nicht nur Kontakte zu eigenen Landsleuten, sondern trifft sich regelmäßig auch mit deutschen Freunden und Paten.“

   

„Dublin-Verfahren“

Da Herr W. in Italien zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat, musste er sich dort registrieren lassen. Daher wurde in seinem Fall im Februar ein sogenanntes Dublin-Verfahren eingeleitet. Dabei wird überprüft, welcher europäische Staat zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Zuständigkeit regelt die Dublin-III-Verordnung.

Über den Ausgang des Dublin-Verfahrens wird der Betroffene per postalisch zugestelltem Bescheid informiert. Innerhalb einer eng gesetzten Frist können dann per Eilverfahren gegen diesen Beschluss Rechtsmittel geltend gemacht werden, was Herr W. aufgrund einer drohenden Abschiebung nach Italien auf jeden Fall gemacht hätte. Nur hat er einen entsprechenden Bescheid nie erhalten. Stattdessen erhielt er am Mittwoch, 02.09.2015, direkt einen Bescheid mit seinem Rückführungstermin nach Italien, datiert auf die Nacht vom 06. auf den 07. September um 03:30 Uhr. 

„Um Zeit für ein rechtmäßiges Verfahren zu gewinnen, hat sich die Ev. Kirchengemeinde Haßlinghausen–Herzkamp –Silschede mit einstimmigem Presbyteriumsbeschluss  in seiner Sondersitzung dazu entschlossen, auf Anfrage der Flüchtlingshilfe Sprockhövel, Herrn W. Kirchenasyl zu gewähren“, begründet Pfarrer Bracht den Entschluss des Presbyteriums.

   

Faktor Zeit

Der Faktor Zeit ist für Herrn W. noch aus einem anderen Grund entscheidend. Schon bald läuft seine Überstellungsfrist (sechs Monate nach Einleitung des Dublin-Verfahrens) nach Italien aus. Hat er bis dahin nicht italienischen Boden betreten, muss Deutschland den Asylantrag weiter bearbeiten.

„Bei der aktuellen Lage zum Dublin-Verfahren für Syrerinnen und Syrer ist es ohnehin unverständlich, dass Herr W. nach Italien abgeschoben werden soll, da seit Ende August die Leitempfehlung gilt, dass Dublin-Verfahren für Syrerinnen und Syrer auszusetzen. Wenn Züge mit Flüchtlingen aus „EU-Eintrittsländern“ in Deutschland eintreffen, steht umso mehr die Frage im Raum, weshalb einer, der schon fast ein Jahr in Sprockhövel lebt und sich erfolgreich integriert, gehen soll“, erklärt Miriam Venn.

   

Herr W. ist während des Kirchenasyls in einem Gebäude untergebracht, in dem die Evangelische Kirchengemeinde Haßlinghausen-Herzkamp-Silschede das Hausrecht ausübt. Herr W. sollte zu seinem eigenen Schutz während seines Kirchenasyls das Kirchengelände nicht verlassen. Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer der Flüchtlingshilfe Sprockhövel sowie der Ev. Kirchengemeinde kümmern sich daher um die Versorgung von Herrn W. Die Gemeinde kommt für seine Unterbringung und Versorgung auf. Staatliche Hilfsleitungen erhält er nicht mehr. „Da Herr W. in den letzten Monaten zahlreiche soziale Kontakte aufgebaut hat, bekommt er oft Besuch von Freunden und Bekannten, die ihn unterstützen. Das macht seine Situation zurzeit erträglich“, erzählt Miriam Venn.

    

Der stellv. Vorsitzende des Presbyteriums, Pfarrer Bracht, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Außenstelle Dortmund) sowie  die Ausländerbehörde des Ennepe-Ruhr-Kreises über das Kirchenasyl informiert und den Behörden den  Aufenthaltsort von Herrn W. mit Angabe der genauen Adresse mitgeteilt. Ebenso wurden der Ev. Kirchenkreis Schwelm und die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) über das Kirchenasyl informiert. Der Kirchenkreis als auch die EKvW, beraten, begleiten und unterstützen die Kirchengemeinde bei der Durchführung des Kirchenasyls. (HB)